Remote Work - Teil 4: Zwischen Selbstentfaltung und Einsamkeit
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Wir sind remote am Werk.
Also: work from anywhere, at (almost) any time and any place as we like.
Manchmal werde ich noch immer ungläubig gefragt, ob ich wirklich nie ins Büro gehe? Da ist kein Büro. Also zumindest kein gemeinschaftliches. Also kein McGrinsey-eigenes. Und damit ist schon verdeutlicht: Es gibt Büros und es gibt Gemeinschaften, manchmal auch beides zusammen, aber, bei uns, nicht wirk-werk-agentur-eigen.
Wir sind überall. Wir sind gemeinsam. Und alleine. Wir sind nicht remote-first. Wir sind remote-only.
🏝️👩💻
Wir sind irgendwo
zwischen Selbstentfaltung und Einsamkeit
Wir leben immer aus mehr oder weniger guten Gründen in bestimmten Räumen.
- Millionen-, Groß- und Kleinstädten als urbanen Räumen
- Suburbanen Räumen
- Ruralen Regionen
Idealerweise haben wir uns selbstbestimmt für die Lebensform und den Lebensraum entschieden, in der und in dem wir leben. Ausgewogene Kompromissbereitschaft vorausgesetzt, denn in den aller seltensten Fällen ist alles perfekt. Das wäre gar märchenhaft. In der Regel treffe ich Entscheidungen so, dass eine größtmögliche Zahl meiner Bedürfnisse ausgewogen befriedigt ist. Kompromissbereitschaft heißt immer auch mich zu fragen, worauf ich (nicht) verzichten und was ich (nicht) ersetzten kann.
Wenn ich aus der Stadt auf´s Land ziehe, ist dann die weniger dicht ausgebaute Infrastruktur für mich relevant? Kann ich fehlende Infrastruktur aus eigenen Ressourcen substituieren?
Auf welche Infrastruktur bin ich in meiner aktuellen Lebensphase angewiesen? Welche nervt mich? Und auf welche will ich nicht verzichten?
Diese Entscheidungen zu treffen setzt Selbstkenntnis voraus. Sie zeugen von Selbstbewusstsein und sind Schritte auf dem Weg zu Selbstverwirklichung.
Selbstverwirklichung
Die höchste Stufe der maslowschen Bedürfnisspyramide, auch Selbstentfaltung, meint einerseits ein möglichst hohes Maß an Verwirklichung der individuellen Ziele, Wünsche und Sehnsüchte sowie andererseits das bestmögliche Ausschöpfen der persönlichen Talente und Möglichkeiten.
Remote Tätigkeit lässt einen bisher unelernten Spielraum an Entscheidungsfreiheit zu.
In Deutschland nimmt die Lohnarbeit in Lebensgestaltung, Persönlichkeitsbildung und gesellschaftlicher Stellung einen hohen Stellenwert ein. Wir strukturieren erhebliche Teile unserer Biografie anhand von (zukünftiger) Lohnarbeit. Relevante lebensdienliche Aspekte sind in einer kapitalistisch organisierten Gesellschaft anhand der Leistungsfähigkeit des Subjekts nach Kriterien des Arbeitsmarktes definiert (Gesundheit, Krankheit und Rehabilitation zum Beispiel).
Da uns Remote Work als Mittel nicht mehr zu physischen Präsenz in einem physischen Raum zwingt, gibt sie uns die Möglichkeit, selbstbestimmter zu entscheiden. Der Möglichkeitsspielraum für Vereinbarkeit ist zudem höher (Vereinbarkeit wovon auch immer, siehe Teil 3). Lebensort und Lohnarbeit sind entkoppelt.
These:
Wir verlernen.
Wir verlernen die Notwendigkeit, dass Körper und physischem Raum übereinstimmen müssen.
Wir verlernen den Zwang.
Wir stärken.
Wir stärken Selbstverwirklichung.
Wir stärken Handeln im Sinne von Verhalten nach den Prinzipien der eigenen Vision.
Schreibe ich jetzt Makretingtexte für Remote Work?
Was der Zwang zu Lohnarbeit im Kapitalismus mit Freiheit zu tun hat, in welchem Verhältnis Notwendigkeit und Freiheit stehen, steht auf einem anderen Blatt. Welche Wirkung purpose-driven Work, social Entrepreneurship und (social) Impact auf individueller Ebene haben, welchen psychologischen Wert diese Entwicklungsrichtungen haben, ist interessant.
Dass wir nicht nur Humanressourcen auf dem Arbeitsmarkt sind und wir Entscheidungen hinsichtlich unseres Alltagssetting in der Regel nicht ausschließlich nach Gesichtspunkten der Lohnarbeit treffen, sondern auch noch weiteren Verpflichtungen in anderen Rollen gerecht werden müssen, ist ein anderes Thema.
Dass wir es uns leisten können müssen, nach der eigenen Vision zu handeln und zu leben, ist ein weiterer wichtiger Punkt und leider nach wie vor Realität.
Große Themen, viele Fässer.
Schreibe ich jetzt durcheinandergewürfelte Texte mit kapitalismuskritischem Impetus als Angestellte einer Online Marketing Agentur?
Kognitive Dissonanz?
Jetzt halte doch mal deine innere Kritikerin für einen Moment im Zaum.
Ich möchte auf die individuelle Ebene zurückkommen, die ich ansprach, als ich auf Selbstverwirklichung kam. Auf
Einsamkeit
Menschen sind soziale Wesen.
Selbstverwirklichung ist wesentlich erreichbar durch soziale Interaktion.
Menschen, die remote tätig sind, benötigen für die Wahl ihres Arbeitsortes lediglich die passende technische Ausstattung, eine wenigstens vereinzelt vorhandene Stromzufuhr sowie eine mindestens halbwegs zuverlässige Internetverbindung - schwups ist der physische Raum überlistet.
Und dann lebe wo du willst!
Flachland, Almhütte - beides, Haus auf dem Land in Portugal mit Permakulturgarten, Speckgürtel der Großstadt mit der Family, WG-Zimmer im Innenstadtring.
Für gutes Arbeiten braucht es aber mehr als das.
Neben Arbeitsplatzgestaltung, die Mindeststandards einhält, Arbeitsschutz nichts desto trotz, braucht es → Menschen und Interaktion für ein gemeinsames Ziel → ein Team.
Teamarbeit.
Teamentwicklung.
Wertschätzende gewaltfreie Kommunikation.
Vertrauen.
Wir brauchen gute Räume. .
Wir begegnen uns. Wir bauen Vertrauen auf. Wir führen Beziehungen.
Durch remote Work mir die Leute und das Office auszusuchen, die ich und in dem ich heute sein will und kann, hat großes Potenzial. Remote alleine sein kann richtig Spaß machen.
Remote kann aber auch ganz schön schnell, ganz schön einsam machen. Das ist Selbstverantwortung. Und das ist Verantwortung der Herde.
Und wenn sie nicht verzogen sind, dann leben sie noch heut an Ort und Stelle.